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Nicolaidis YoungWings Stiftung – Hilfe für junge Trauernde

Über ein Ende, das auch Anfang war

Auch Stephanie hat ein Elternteil verloren. In der Selbsthilfegruppe YoungChange tauscht sie sich mit anderen Halb- und Vollwaisen darüber aus. Wie sie die erste Zeit der Trauer erlebt hat und wie sie heute auf den Tod ihrer Mutter blickt, davon berichtet sie an dieser Stelle in der Stiftungspost.

Der Tag, der wie kein anderer mein Leben veränderte, liegt nun schon mehr als sieben Jahre zurück. Meine Erinnerung ist über die Jahre jedoch wenig verblasst. Es war ein sonniger Samstag Ende März, ein Tag, der viel mehr nach Anfang roch als nach Ende. Sie starb zuhause, ganz ruhig und leise. Es passierte alles vertraut unter Familienmitgliedern und engen Freunden und fühlte sich trotz allem Schrecken seltsamerweise befreiend an.

ber ein Ende Anfang

Ich habe mich lange gefragt, woher dieses Gefühl damals gekommen war und kann es mir dennoch irgendwie erklären: An jenem Tag lagen bereits Jahre voller Krankheit und Schreckensbotschaften, der steten Verarbeitung dieser, dem Schöpfen neuer Hoffnung und der immer wiederkehrenden Enttäuschung hinter mir. Dann war auf einmal der Moment da, an dem dieser „Leidenskreis“ durchbrochen war. Ein Moment, der Ende und Anfang wie kein anderer in sich vereinte. Das Leiden hörte zwar keineswegs auf, aber es ging in eine neue Phase über. Der Verarbeitungsprozess, der damit begann, hatte etwas Gutes: Ich hatte einen aktiven Part und konnte ihn mitgestalten und vorantreiben. Bis dahin war ich dem Schicksal – gefühlt zumindest – ausgeliefert. Nun konnte ich mich aus dieser Ohnmacht befreien. Bis dahin hatte die Krankheit meiner Mama im Zentrum gestanden. Nun konnte meine Gesundheit in den Mittelpunkt rücken.

Ich war zu diesem Zeitpunkt kurz vor meinem 23. Geburtstag, stand mitten im Studium und wohnte an einem Ort, der recht weit von meiner Heimat, von all den schönen und ebenso all den traurigen Erinnerungen entfernt war. Diese Entfernung war ein Segen. Mein Leben in dieser Stadt war eine Konstante für mich, an der sich nichts verändert hatte – verglichen mit der riesigen Veränderung, die in mir und meinen Gedanken zu diesem Zeitpunkt vor sich ging.

Neue Säulen gesucht

So stieg ich mehr oder minder wieder in mein altes Leben ein, was mir unglaublich viel Kraft gab. Es wurde Sommer. Ich nahm die Uni wieder auf. Hausarbeiten, die ich im vergangenen Semester nicht fristgerecht hatte abgeben können, konnte ich leicht nachreichen. Ich erklärte den Dozenten meine Lage und sie reagierten durchweg verständnisvoll. Diese plötzliche Kraft in mir empfand ich als Geschenk, vielleicht ein Abschiedsgeschenk von ihr. Irgendetwas sagte mir ganz deutlich, dass ich es schaffen würde. Über die Jahre hindurch verließ mich diese Stimme oft. Phasen der Leichtigkeit lösten solche der Schwermut und Ausweglosigkeit immer wieder ab.

Während mein Leben „davor“ auf einer einzigen großen, stabilen Säule gestanden hatte, nämlich der intensiven und wunderschönen Beziehung zu meiner Mama, so war es nun aus dem Gleichgewicht geraten. Meine Aufgabe bestand für mich darin, diese eine Säule durch viele kleine zu ersetzen. Freunde, ein Partner und besonders der Rest meiner Familie hatten für mich immer eine vergleichsweise unbedeutende Rolle gespielt. Das musste sich nun ändern. Ich versuchte, es als Chance zu sehen.

ber ein Ende Sule

Am meisten hoffte ich auf die Unterstützung meines Vaters. Obwohl die Beziehung zu ihm recht kühl war (meine Eltern lebten bereits seit vielen Jahren getrennt, ich war bis zu meinem Auszug bei meiner Mutter geblieben), baute ich darauf, dass wir nun die Möglichkeit hätten, das zu ändern. Jegliche Annäherungsversuche zwischen uns mündeten jedoch in Streit. Von beiden Seiten war kein Verständnis für das Verhalten und die Bedürfnisse des anderen da. Bis heute. Seitdem gehen wir mehr denn je getrennte Wege. Ein paar SMS pro Jahr sind das Maximum. Gesehen haben wir uns seit fast drei Jahren nicht mehr. Er war irgendwann nach der Trennung von meiner Mutter in ein neues Leben geschlüpft, in dem ich keinen Platz zu haben schien. Vielleicht sprechen wir uns eines Tages aus, ohne böse Worte. Zu einer Säule ist er für mich nicht geworden.

Auf und Ab in der Beziehung

Meinen familiären „Rest“ bildeten die Eltern meiner Mama. Sie waren immer für mich da, auch wenn diese Unterstützung manchmal durch die über 600 Kilometer Entfernung zwischen uns in ihrer Wirkung nachgelassen hat. Auch wenn sie mir nie wirkliche Gesprächspartner auf meinem Trauerweg sein konnten, gibt mir allein das Wissen Kraft, dass es sie gibt. Neulich haben sie mich nach Ewigkeiten trotz ihres hohen Alters hier in München besucht. Sie vermitteln mir das wertvolle Gefühl, Wurzeln zu haben und aufgefangen zu sein, und bilden eine der Säulen, die mich aufrecht im Leben stehen lassen.

Mehr nahe Familie gab es nicht. Und genau deswegen lernte ich die Bedeutung von Freundschaft kennen und bin sehr, sehr froh darum. Ich begann innerhalb einer Freundschaft, viel mehr Nähe zuzulassen, mehr zu erwarten und auch mehr zu geben. Manchmal lösten sich Freundschaften auf, oft wurden neue geknüpft. Die Menschen, die sowohl meine Lebensfreude, aber vor allem auch meine immer wiederkehrenden Momente der Trauer, der Wut, der Tränen und Verzweiflung annehmen können, sind mir als wahnsinnig starke Säule geblieben.

Während Freundschaften konstant blieben, war meine letzte Partnerschaft ein Auf und Ab. Ich hatte oft das Bedürfnis, meine Trauer mehr in die Beziehung zu integrieren, meiner Mama Raum darin zu geben und sie durch Erzählungen weiterleben zu lassen. Mein Partner war demgegenüber nur begrenzt offen und das kann ich mittlerweile nachvollziehen. Er hat sie nie gekannt und auch sonst hatte das Thema Tod in seinem Leben noch keine wirkliche Rolle gespielt. Bei mir war das immer anders gewesen. Ich hatte als Grundschulkind schon meine Schwester verloren und gelernt, damit umzugehen (v.a. durch meine Mama und die offenen Gespräche mit ihr). Wahrscheinlich habe ich in dieser Hinsicht zu viel von ihm erwartet. Er war mir lange eine Säule, die schließlich aber weggebrochen ist.

Wertvolle Gespräche mit Gleichgesinnten

Je mehr mein Bedürfnis, über Tod und Trauer zu sprechen, in meiner Beziehung unterdrückt war, desto mehr keimte der Wunsch danach auf. Vielleicht habe ich es meinem Ex-Freund zu verdanken, dass ich mich damals an die Nicolaidis YoungWings Stiftung wandte. Auch wenn er meine Bedürfnisse nach Gesprächen zurückstieß und mir „professionelle Hilfe“ anriet (was ich als unglaublich schmerzhaft empfand), war es der Anfang meines Weges zur Trauergruppe der Stiftung. Seit Jahren ist sie für mich zu einer konstanten Begleitung im Leben geworden. ber ein Ende GesprcheDie Gespräche mit Menschen in ähnlichen Lebensphasen wie der meinen, denen dasselbe widerfahren ist, sind durch nichts zu ersetzen. Das Gefühl verstanden zu werden – und damit meine ich, wirklich verstanden zu werden –
ist dabei für mich der entscheidende Faktor. Es tut gut, dort stets Raum für alle Gedanken und Worte zu haben. Mittlerweile bilden diese Gespräche eine starke Säule für mich.

Es gibt eine weitere Säule in meinem Leben, die mir früher kaum bewusst war, die aber über die Jahre und die teils schönen, teils schmerzhaften Erfahrungen immer mehr an Stabilität gewonnen hat. Sie wird gewissermaßen von den anderen Säulen gestützt, kann aber auch immer eigenständiger geradestehen. Diese Säule bin ich selbst.